Predigt zum „Annus Horribile“
27. Dezember 2020Andachten für die Gebetswoche
8. Februar 2021Predigt zu Römer 12, 1 – 8
10. Januar 2021, von Erich Hamader
Liebe Gemeinde, – verbunden im Glauben, verbunden durch das Internet,
dieser 1. Sonntag nach Epiphanias ist schon etwas Besonderes – und etwas eigenartig. Wir stehen mitten in der Weihnachtszeit und wir feiern Tauferinnerung.
Zwei Evangelisten erzählen die Weihnachtsgeschichte. Die bekannteste, die von Lukas, haben wir noch im Ohr, vom Heiligen Abend: das Kind im Stall bei Ochs und Esel, die Hirten bei ihren Herden, die Engel, das Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden. Matthäus berichtet vom Besuch der Weisen aus dem Morgenland, zu Epiphanias haben wir das gefeiert. Gott kommt ins Kleine zu den Einfachen und Armen der Welt. Und Gott kommt zu den Gelehrten und Philosophen und Königen und Wohlhabenden, lässt die Mächtigen erzittern, kommt in die weite Welt, zu den Angehörigen anderer Völker. Für die ersten Christen war das gar nicht so einfach. Lukas stellt eine längere Geschichte voran, Matthäus den Stammbaum von Jesus, von Abraham über David bis Josef. Das ist bis heute für viele gar nicht so einfach. (Für mich ist die Vorstellung kein Problem, dass Gott in Josefs Kind Mensch wird, Gott ist für mich eine immaterielle Macht, ist Kraft, ist Liebe – lauter geistige, geistliche Begriffe. Für mich, ich will da niemanden beeinflussen.)
Zwei Evangelien beginnen mit Johannes dem Täufer, und mit der Taufe von Jesus: Markus, das älteste, und Johannes, das jüngste. Diesem ist der berühmte Prolog vorangestellt, siehe oben. Das Wort, der λόγος (Logos), wird Fleisch und Blut, das Licht kommt in die Welt. Weihnachtliche Bilder, aber – verbunden mit der Taufe von Jesus. Gott offenbart sich Mensch geworden in Jesus – sichtbar und hörbar, als Heiliger Geist wie eine Taube, Gottes Stimme aus der Höhe:
„Dies ist mein lieber Sohn.“
Von jetzt an sprechen die Menschen von Jesus als dem Gottessohn – und Jesus, aus göttlicher Sicht, von sich als Menschensohn.
Weihnachten und Taufe – was haben sie gemeinsam? Der Atterseer Altar entsteht vor meinen Augen: links die Krippenszene, rechts die Taufszene, in der Mitte Jesus am Kreuz. Und ich erinnere mich an den Satz:
Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.
Gott wird Mensch, Gott ließ das sichtbar und hörbar werden.
Gott in der Welt, Gottes Nähe, die Verbindung mit Gott – wie erleben Sie, wie erfährst du das ganz besonders? Ist es der Weihnachtsglanz, der Weihnachtsfriede, die Stimmung von Weihnachten? Oder ist es die Taufe? Das Denken an die eigene Taufe? „Dies ist mein geliebtes Kind“, das sagte Gott zu Jesus, das sagte Gott auch zu dir und mir. Als Gottes Kinder dürfen wir uns betrachten – wie fühlt sich das an?
„Ich bin getauft!“ Diese drei Worte müssen Martin Luther viel Kraft gegeben haben – so viel, dass er sie auf sein Pult schrieb, wenn ihn die Anfechtung überkam. Auch in der Evangelischen Kirche gibt es den Brauch, immer wieder an die eigene Taufe zu erinnern. Viele Gemeinden feiern einen Tauferinnerungs-Gottesdienst, manche sogar öfters im Jahr. Erinnerung daran, dass wir Kinder Gottes sind. Alle, die sich von der göttlichen Geistkraft leiten lassen, sind Töchter und Söhne Gottes, sagt uns der heutige Wochenspruch. Römer 8, 14. Auch der heutige Predigttext ist aus dem Brief von Paulus an die Gemeinde in Rom, Kap. 12, 1 – 8.
Die angemessene Antwort auf Gottes Erbarmen
121Ich habe euch vor Augen geführt, Geschwister, wie groß Gottes Erbarmen ist. Die einzige angemessene Antwort darauf ist, dass ihr euch mit eurem ganzen Leben Gott zur Verfügung stellt und euch ihm als ein lebendiges und heiliges Opfer darbringt, an dem er Freude hat. Das ist der wahre Gottesdienst, und dazu fordere ich euch auf. 2Richtet euch nicht länger nach den Maßstäben dieser Welt, sondern lernt, in einer neuen Weise zu denken, damit ihr verändert werdet und beurteilen könnt, ob etwas Gottes Wille ist – ob es gut ist, ob Gott Freude daran hat und ob es vollkommen ist.
Vielfalt der Gaben und Aufgaben in der Gemeinde
3Ich rufe daher aufgrund der Vollmacht, die Gott mir in seiner Gnade gegeben hat, jeden Einzelnen von euch zu nüchterner Selbsteinschätzung auf. Keiner soll mehr von sich halten, als angemessen ist. Maßstab für die richtige Selbsteinschätzung ist der Glaube, den Gott jedem in einem bestimmten Maß zugeteilt hat. 4Es ist wie bei unserem Körper: Er besteht aus vielen Körperteilen, die einen einzigen Leib bilden und von denen doch jeder seine besondere Aufgabe hat. 5Genauso sind wir alle – wie viele ´und wie unterschiedlich` wir auch sein mögen – durch unsere Verbindung mit Christus ein Leib, und wie die Glieder unseres Körpers sind wir einer auf den anderen angewiesen.
6Denn die Gaben, die Gott uns in seiner Gnade geschenkt hat, sind verschieden. Wenn jemand die Gabe des prophetischen Redens hat, ist es seine Aufgabe, sie in Übereinstimmung mit dem Glauben zu gebrauchen. 7Wenn jemand die Gabe hat, einen praktischen Dienst auszuüben, soll er diese Gabe einsetzen. Wenn jemand die Gabe des Lehrens hat, ist es seine Aufgabe zu lehren. 8Wenn jemand die Gabe der Seelsorge hat, soll er anderen seelsorgerlich helfen. Wer andere materiell unterstützt, soll es uneigennützig tun. Wer für andere Verantwortung trägt, soll es nicht an der nötigen Hingabe fehlen lassen. Wer sich um die kümmert, die in Not sind, soll es mit fröhlichem Herzen tun.
Was in aller Welt hat dieser Text mit dem heutigen Sonntags-Thema zu tun? Wie so manches Mal muss man um viele Ecken herum denken. In der Neuen Genfer Übersetzung beginnt er wenigstens weniger spröde, Luther übersetzte: Ich ermahne euch nun, Brüder (jetzt auch und Schwestern), durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Zuerst bin ich übers „Ermahnen“ gestolpert, aber beim „Opfer“ hats mich geschmissen. Weil der Opferbegriff immer noch so unselig beladen ist mit Töten, Abtöten, Weggeben, Hingeben, Aufopfern; ein Opfer muss uns schon was kosten, abverlangen, weh tun.
Zur Besänftigung einer Gottheit, Zornstillung, um Strafe abzuwenden. Noch immer geistert auch bei Christen, auch Pfarrern, die archaische Vorstellung herum von einem Gott, der zu fürchten ist, uns Böses will – durch ein Opfer wohlgesonnen gestimmt werden muss. So wird auch Jesus zum Opfer, Gott opfert seinen Sohn (um die Drei-Einigkeit auseinanderzudividieren) oder opfert sich selbst einem göttlichen Prinzip, das ein Opfer verlangt. Es gibt einige Hinweise in der Bibel, dass dieses Opferverständnis ein Unsinn ist (schon im AT), sie werden geflissentlich übersehen. Abraham wollte seinen Sohn opfern, ein Menschenopfer! bringen, wie es in vielen archaischen Religionen vorkam.
Um ihn davon abzuhalten, muss ein Widder dranglauben. In der Folge wurden unzählige Tiere dem Opferwahn zum Opfer gebracht. Gegen diese Opferbesessenheit hat sich Gott selbst am Kreuz geopfert, wenn man es unbedingt als Opfer betrachten will. Er hat am Kreuz den Tod und die Gottferne (Sünde) überwunden; und er hat Gottesnähe, das Leben, ewiges Leben gebracht. Opfer erbringen heißt Leben ins Leben bringen: das Gute, Vollkommene, zu Gottes Freude – wie es Gottes Wille ist. Nur so kann ich „Opfer“ gelten lassen.
Mein erstes Stolpern ließ mich über die Wendung Ich ermahne euch nachdenken. Im Urtext steht, habe ich gelesen, παρακαλέω (parakaleo), der Heilige Geist wird „Paraklet“ genannt, meist mit „Tröster“ übersetzt. Ich kann daher getrost den erhobenen Zeigefinger vergessen, wie in unserer Übersetzung, aber noch intensiver mit ermutigen, ermuntern, aufmuntern, Mut machen übertragen: Auf Gottes Erbarmen schauen, Gottes Barmherzigkeit sehen.
Wir dürfen die heurige Jahreslosung in den Blick nehmen: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Ist damit nicht der ganze erste Absatz des Predigttextes zusammengefasst?
Das wäre ein Jahresvorsatz, ja ein Lebensrezept, und dazu kann uns Paulus ermutigen. Wenn wir uns an den Wochenspruch erinnern, nämlich: Dass wir Gottes Kinder sind. Wir brauchen dann nur so zu leben. Ganz einfach. Lebt als Kinder des Lichts, schreibt Paulus einmal. Nicht aus uns heraus. Denn als Kinder Gottes stehen wir nicht arm und nackt da. Sondern als Beschenkte. Womit wir wieder bei Weihnachten sind. Gottes Kinder sind wir, weil Gott sich uns schenkt. Wir müssen uns nur davon leiten lassen.
Immer wieder fällt mir Bernhard von Clairvaux ein:
Sei Schale, nicht Kanal! Gib aus dem Überfluss, lass es nicht einfach durchfließen und bleibe nicht selber leer. Gib von dem, was du bekommen hast.
Das soll bestimmen, was wir uns zutrauen, und unser Tun. Maßstab für die richtige Selbsteinschätzung ist der Glaube, den Gott jedem in einem bestimmten Maß zugeteilt hat, schreibt Paulus.
In zwei Richtungen geht das:
Niemand soll sich überschätzen, niemand darf schon gar nicht überheblich auf andere herabblicken!
Niemand soll sich unterschätzen. Denn wir alle sind begabt. Jede und jeder hat je eigene Gaben, Begabungen mitbekommen, jede und jeder erhält auch die nötige Energie fürs Leben. Uns nicht übernehmen – die Begabungen aber auch nicht ungebraucht verkümmern lassen; und sie so einsetzen, wie Gott es will: Dieser Balanceakt ist nicht leicht, und ich muss mich selbst bei der Nase nehmen.
Die Ermutigung, das Aufbauende liegt darin: Wir dürfen zuerst mit uns selber barmherzig sein – sollen uns nicht überfordern; und dann sind wir auch anderen gegenüber seltener unbarmherzig. Unsere Gaben wahrnehmen, Gottes Geist in uns wirken lassen – und uns davon leiten lassen. Das können wir. In unserem Leben, im Gemeindeleben. Eine Liste von Möglichkeiten steht im Predigttext.
Liebe Geschwister, wir dürfen als Töchter und Söhne Gottes leben!
Ich bin getauft – das ist Weihnachten und Ostern und Pfingsten zusammen. Amen.