Osterbrief des Bischofs
4. April 2021Predigt zum 1. Advent
4. Dezember 2021Liebe Gemeinde!
Wie neu geboren – wann haben Sie sich / hast du dich so gefühlt? Der Name des heutigen Sonntags kann uns an dieses Gefühl erinnern. Das latein. Zitat aus dem 1. Petrusbrief geht jedoch in eine andere Richtung: Quasi | So | modo | wie | geniti | Neugeborene nach der Muttermilch verlangen, sollen wir das unverfälschte Wort saugen. Zum Beispiel unsere heutige Epistellesung, ebenfalls aus dem 1. Petrusbrief, sie beginnt mit dem heutigen Wochenspruch und bringt uns wieder auf das Neu-geboren-Fühlen zurück: wie von Neuem geboren sind wir durch Ostern.
Neu geboren werden wir auch durch die Taufe – zu Kindern Gottes. Einst trugen die zu Ostern Getauften ihre weißen Gewänder bis zum 1. Sonntag nach Ostern, bis Quasimodogeniti, bis zum sogenannten Weißen Sonntag.
Gelobt sei Gott, der uns wieder geboren oder neu geboren hat. Dann kommt in der Luther-Übersetzung eine sehr starke Formulierung: zu einer lebendigen Hoffnung!
Das ist Zuspruch und Anspruch zugleich. Hoffnung, die in uns lebendig wird. Als Menschen, in denen die Hoffnung ins Leben kommt, die Hoffnung ausstrahlen, in die Welt tragen. Wollen wir das, können wir das sein? Wandelnde Hoffnung?
Hoffnung blickt voraus, ist gute Erwartung; das kann stärken, beleben. Unser heutiger Eingangspsalm stärkt auf den umgekehrten Weg: blickt zurück, auf eine gute Erfahrung, Erfahrung von Hilfe und Rettung. Ich finde, die brauchen wir immer wieder, damit unser Optimismus am Leben bleibt. Aber was steht am Anfang? Es ist wie beim (Oster-)Ei: Henne oder Ei? Wir werden das Rätsel nicht lösen.
Auch Luther wurde vom „Was kommt zuerst“ umgetrieben: Werke oder Gnade?
Müssen wir uns den gnädigen Gott verdienen, erarbeiten? Sein Aha-Erlebnis hatte Luther mit dem Römerbrief, der die Sache vom Kopf auf die Füße stellte, wie er sagte, und er schrieb: „Aber dann verstand ich durch den Geist Gottes die Worte: ‚Denn der Gerechte wird aus Glauben leben!‘ Da fühlte ich mich wie neu geboren, wie ein neuer Mensch. Ich trat durch die geöffneten Tore geradewegs ins Paradies ein!“
Wie neu geboren, weil wir unser Heil nicht verdienen müssen, sondern durch Jesus Christus geschenkt bekommen haben. Der da ist – für uns.
Dazu unser heutiger Predigttext aus dem Johannes-Evangelium, 21. Kap., 1 – 14:
Danach [nach den Osterereignissen in Jerusalem] offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See Tiberias. Er offenbarte sich aber so:
Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will fischen gehen. Sie sprechen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.
Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten’s nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.
Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon hörte, dass es der Herr war, gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser. Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen.
Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht.
Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt’s ihnen, desgleichen auch die Fische.
Das ist nun das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war.
Lebendiger Gott, sei bei uns durch den heiligen Geist zum rechten Reden, Hören und Verstehen. Amen.
Liebe Gemeinde, diese Geschichte vom Auferstandenen ist quasi ein Anhang an das Johannesevangelium. Es ist das dritte Mal, dass er den Jüngern erschien, schreibt Johannes. Paulus berichtet im 1. Korintherbrief von vier bzw. fünf Erscheinungen: dem Petrus, den Zwölf, dann 500 auf einmal, dann Jakobus und den Aposteln – und dem „spätgeborenen“ Paulus. Die Frauen zählt er nicht – übrigens auch nicht Johannes die Begegnung von Jesus der Maria Magdalena. Vom Ostermontag wissen wir noch eine Erscheinung, den Emmaus-Jüngern. Eines der bestbezeugten Ereignisse wurde die Auferstehung einmal genannt. Wichtig ist das aber nicht für uns. Wichtig ist: Er muss für dich und mich, er muss in dir und mir auferstehen.
Eine Fülle von Assoziationen stürzt bei dieser Geschichte wieder auf mich ein. Viele Schüler hatten einst Probleme damit: Der kommt immer vom Hundertsten ins Tausendste, meinten sie manchmal. Dabei ist Vernetzen-Können, Verbindungen herstellen, Ähnlichkeiten erkennen so wichtig. Der Text bekommt Tiefe, Breite, Höhe, wird dreidimensional. Es ist, wie wenn ich im Kino die 3D-Brille aufsetze. Wenn auf einmal etwas direkt auf mich zu kommt, mich mitten ins Geschehen nimmt.
Wo sind wir in der Geschichte? Sieben Jünger kommen vor. Schon rattert mein Gehirn wieder. Sieben? In der Bibel und besonders bei Johannes eine bedeutsame Zahl. Gut, es könnten eben fünf wo anders gewesen sein. Die zwölf stehen für die zwölf Stämme Israels. Eine für Judenchristen wichtige Zahl. Johannes schreibt für eine nichtjüdische Gemeinde. Die zwölf vertraten das Volk Israel; die Heiden waren nicht repräsentiert. Die Sieben steht für „alle“, sie ist die Gesamtzahl. Alle sind gemeint.
Simon Petrus war dabei, natürlich. Der Anführer, tatkräftig, eine Autorität, Führungspersönlichkeit. Und sehr impulsiv. Manchmal hinkte das Denken hinterher. Oft polterte einfach los. Ich werde mit dir sterben. Greift sofort zum Schwert, haut zu. Ich kenne den Menschen nicht. Schmeißt sich sofort ins Wasser, als er erfährt, dass Jesus am Ufer steht. Gut, er hat sich vorher angezogen – wir machen es eher umgekehrt.
Klaus Wengst schreibt dazu in seinem Johanneskommentar mit einem humorvollen Ton: Vielleicht ist Petrus, »von den anderen Schülern getrennt, für eine Weile buchstäblich untergetaucht. Man muss sich um ihn keine Sorgen machen – und auch keine Gedanken … er wird schon wieder auftauchen.« Kurz darauf ist er auch wieder da und vollbringt Übermenschliches, indem er das Netz alleine an Land zieht. Dennoch ist er fast einer von uns: Einmal steht er ganz eifrig für die Sache Jesu ein und dann wieder hält er sich zurück, hat den Mut verloren, distanziert sich. Hier taucht er eben einmal ab. Da sind wir ja manchmal recht unduldsam in unseren Gemeinden: Wenn sich Mitglieder zurückziehen, gar dann, wenn sie lange »zum Stamm« gehörten. Unsere Geschichte ist dagegen von einer großen Gelassenheit beseelt. Wir müssen uns keine Sorgen machen. Ab und zu taucht dann einer wieder auf, packt vielleicht sogar kräftig mit an. Manchmal braucht es die kleinen oder großen Auszeiten. Wer weiß, warum – und wozu sie gut sind.
Dann wird Thomas, der Zwilling, genannt. Ganz wichtig – der, der nur glaubt, was er sieht, begreifen kann. Da sind wir doch ganz drin, im Geschehen, wer kennt das nicht? Also, ich lass mir nicht einfach alles einreden. Mein kritisches Denken gehört zu mir. Thomas gehört dazu, und ich darf es auch. Allerdings immer mit dem Hintergrundwissen: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Wie es im Abendlied heißt:
„Seht ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön. So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsre Augen sie nicht sehn.“
Als nächster wird Nathanael aus Kana genannt – der kommt nur bei Johannes als Jünger vor. Entweder er wird in den anderen Evangelien mit anderem Namen genannt (mit dem Vaternamen Bartholomäus, vermuten einige), oder Johannes will uns sagen: Natürlich gehörten auch noch andere zu Jesu Schülern, nicht nur die zwölf. Der Herkunftsort Kana bewirkt jedenfalls eine besondere Verknüpfung: Wem fällt da nicht die Hochzeit ein?
Die Söhne des Zebedäus und zwei Namenlose vervollständigen die sieben. Auf die Namenlosen möchte ich zuerst eingehen. Sie sind, meine ich, die wichtigsten in der Geschichte der Christenheit, in jeder Gemeinde. Die nicht genannt werden müssen oder wollen, im Hintergrund arbeiten, da sind, wenn es etwas zu tun gibt, auch selbst sehen, wo es etwas zu tun gibt. Darum liegt mir so am Herzen, dass sie und ihre Arbeit gewürdigt werden. Sie müssen nicht in den Chroniken aufscheinen. Wichtig ist, dass sie bedankt werden, beachtet und geachtet werden, auch noch, wenn sie nicht mehr so viel mitarbeiten können. Nachruhm ist verzichtbar – aber Vergessen und Undankbarkeit sind das größte Armutszeugnis einer Gemeinschaft.
Bei den Söhnen des Zebedäus hieß der ältere Jakobus. Ich konzentriere ich mich auf den jüngeren. Johannes ist der Jünger, den Jesus lieb hatte. Der Jünger, der Jesu Herzen am nächsten ist. Der, dem Jesus seine Mutter anvertraut. Johannes ist anders als Petrus. Auf die beiden werden in der Folgezeit auch unterschiedliche Traditionen und Gemeinschaften aufbauen. Aber als Gegenspieler werden sie uns nicht gezeigt. Johannes, der Jünger, der schneller am Grab war als Petrus, der als erstes die Leintücher sah, der als erster zum Glauben kam, ist hier nur ein einziges Mal im Blickpunkt, aber an einer Schlüsselstelle: Angesichts des großen Fangs, der sich auf das Wort des unbekannten Mannes am Ufer hin ergab, erkennt er: Es ist der Herr. Diese Erkenntnis teilt er Petrus mit. Danach verschwindet er wieder in der Gruppe.
Eine präzise Wahrnehmung, ein gutes Gespür, Glaubensgewissheit, ein sicheres Urteil. Wir haben solche Menschen unter uns. Intuitiv wissen sie, was gerade dran ist. Vielleicht bin ich auch manchmal so. Dann trägt mein Glaube. Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Es ist der Herr. Ja, dass es nach einer Krise wieder aufwärts geht – der Herr ist da. Dass ich nicht in das Endlose falle, wenn es mir schlecht geht oder wenn ich Sorgen habe um meine Nächsten oder wenn ich an einem Grab stehe – der Herr ist da. Ich gebe zu: Johannes ist mein Lieblings-Evangelist. Die Intuitivität, Kreativität und Emotionalität sprechen mich an. Ja, ich verwende ebenfalls gerne auch die rechte Gehirnhälfte.
Mitten im Alltag passiert das Ganze. Wieder bei der gewohnten Arbeit sind sie. Sogar mitten bei einem erfolglosen Bemühen. Nicht immer geschieht ein Wunder. Aber auch mit einem Misserfolg fertig zu werden kann wunderbar sein.
Hier aber geht es um etwas anderes. Die Netze des Lebens werden voll. Es gibt Fülle. Eine Fülle von Möglichkeiten. Eine Fülle von Engagement, Liebe und Zuwendung. Das gilt auch für unsere Gemeinden und die Kirche. Auf Jesus hören und das Netz auf der richtigen Seite auswerfen – das ist mit einer Zusage des Erfolgs verbunden.
153 Fische waren im Netz. Da haben sie genau gezählt. Wieder so eine Zahl. Eine Deutung ist: Damals sollen genau so viele Fischarten bekannt gewesen sein. Also – jede Art war dabei. Es geht um die Gute Botschaft. Die sollen alle hören und erfahren. Nicht nur die am See Genezareth und im Heiligen Land, sondern überall auf der ganzen Welt. Menschenfischerei hat nichts mit Manipulation oder Überredung oder Zwang zu tun Und schon gar nichts mit Intoleranz und Fanatismus.
Es geht um die Botschaft: Der Auferstandene ist da. Bei dir. Und feiert das Mahl mit dir, in der heutigen Geschichte ein Morgenmahl. Der Auferstandene ist da als Brot des Lebens. Ich bin, sagt Jesus. Ich bin, das ist der Name Gottes. Ich bin da – klammern wir uns daran. Amen.
Predigt am 1. Sonntag n. Ostern – Quasimodogeniti – 11. April 2021
Foto: S. Hermann & F. Richter, Pixabay